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Geschichte erlebbar machen – VfL Bochum Fans auf Bildungsreise in Thüringen

„Wir wollen nicht unser Entsetzen konservieren. Wir wollen Lehren ziehen, die auch künftigen Generationen Orientierung sind.“ Diesem Aufruf des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog folgend schaffte das Fanprojekt Bochum in Kooperation mit der Fanbetreuung des VfL Bochum 1848 ein Bildungsangebot, welches die Verankerung demokratischer Prinzipien und Werte innerhalb der Zielgruppe der Fußballfans unterstützt.

30 Teilnehmer*Innen traten am Freitag, den 07. September 2018, den Weg nach Thüringen an. Das Reiseziel war die Klassik- und Kulturstadt Weimar, die ebenso wie Bochum eine Gauhauptstadt zur Zeit des Nationalsozialismus war. Dies ist jedoch nicht die einzige Parallele respektive Verbindung zwischen unserer Stadt und Weimar. Diesbezüglich vermittelte eine Woche vor Fahrtantritt die Leiterin des Bochumer Stadtarchivs, Dr. Ingrid Wölk, anlässlich einer Einführungsveranstaltung in der Stadtwerke Bochum Lounge des VfL-Stadioncenters den Teilnehmer*Innen Grundlagenwissen zum Thema „Konzentrationslager“ und erläuterte die historisch belastete Beziehung Bochums zu Buchenwald, schließlich befanden sich hier gegen Ende des Zweiten Weltkrieges zwei Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald.

Ankunft in Weimar

Im geschichtsträchtigen Weimar angekommen, empfing Stadtführer Axel Stefek die Reisenden. Unmittelbar nach Einnahme einer klassischen lokalen Spezialität begann die Stadtführung durch die für ihr kulturelles Erbe bekannte Stadt. Luther, Schiller und Goethe spielten jedoch eine untergeordnete Rolle, auch wenn das Denkmal der beiden Letztgenannten eines der ersten Reiseziele darstellte. Vielmehr als die Abbildung der berühmten Weimarer Klassiker sollte die Teilnehmer*Innen das Gebäude hinter dem Denkmal interessieren, das Weimarer Nationaltheater.

Hier trat im Februar 1919 die einen Monat zuvor gewählte Verfassungsgebende Deutsche Nationalversammlung zusammen. Unter den 423 Mitgliedern der Nationalversammlung waren erstmals auch 37 Parlamentarierinnen, unter anderem Marie Juchacz, Sozialdemokratin und Gründerin der Arbeiterwohlfahrt. Die Weimarer Verfassung, die erste demokratische Verfassung Deutschlands, trat im August 1919 nach der Unterzeichnung durch den Reichspräsidenten Friedrich Ebert in Kraft. Weitere Stationen des Stadtrundgangs waren das Stadtmuseum Weimar sowie das ehemalige Gauforum der NSDAP. Die Intention des Rundgangs bestand darin, den Teilnehmer*Innen den Zeitgeist der 1920er und 1930er Jahre näher zu bringen und darzulegen, wie es zur Machtübergabe im Jahr 1933 kommen konnte. Vorausschauend hinsichtlich des weiteren Verlaufs der Reise wurde auch die Einrichtung eines mitteldeutschen nationalsozialistischen Terrorapparates auf dem nahegelegenen Ettersberg im Jahr 1937 thematisiert: das Konzentrationslager Buchenwald.

Besuch der Gedenkstätte Buchenwald

Die Gedenkstätte dieses Konzentrationslagers besuchten die Teilnehmer*Innen am zweiten Tag dieser Bildungsreise. Von der Altstadt Weimars aus kommt man Landstraßen folgend schließlich über die „Blutstraße“ hinauf zum Geländekomplex des ehemaligen Konzentrationslagers. Am Parkplatz angekommen erwartete die Besucher*Innen ein unerwarteter Anblick. Gepflegte Parksituation, ein modernisiertes Besucherzentrum sowie eine Jugendbegegnungsstätte. Die pädagogischen Mitarbeiter Ronald Hirte und Jan Malecha begrüßten die Teilnehmer*Innen und gemeinsam wurde der historische Rundgang durch die Gedenkstätte begonnen. Bevor es jedoch durch das berüchtigte Eingangstor des eigentlichen Häftlingslagers mit dem von den Nationalsozialisten pervertierten römischen Rechtsspruch „Jedem das Seine“ ging, wurde der gesamte Komplex anhand eines Modells erläutert. Zu dem Konzentrationslager Buchenwald gehörten neben dem bereits angesprochenen Häftlingslager auch Kommandanturen, Wohnhäuser und sogar Villen von SS-Offizieren, ein großzügig angelegter und intensiv gepflegter Streichelzoo, ein etwas abseits gelegener Steinbruch, ein Bahnhof sowie kleinere Speziallager.

Sobald die Teilnehmer*Innen durch das Eingangstor des Lagers traten, offenbarte sich ihnen neben einem weiten Ausblick über Thüringen ein beklemmendes wie trostloses Areal. Kilometerlanger Stacheldraht, Ruinen der ehemaligen Baracken und eine Gedenkinstallation, die durchgehend die menschliche Körpertemperatur von 37° Celsius aufweist. Zwei Gebäude auf diesem Gelände ragen empor. Die Effektenkammer am abschüssigeren Part des Häftlingslagers, die mittlerweile eine Dauerausstellung über drei Etagen beherbergt, sowie das Krematorium samt Schornstein, welches die SS angesichts wachsender Totenzahlen 1940 errichten ließ. Für dieses Krematorium entwickelte und lieferte die Firma Topf&Söhne Verbrennungsöfen. Dieses Unternehmen sollte den Teilnehmer*Innen zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt begegnen.

„Ihr habt es gewusst“

Mehr als eine Viertelmillion Menschen waren im Konzentrationslager Buchenwald und seinen 139 Außenlagern inhaftiert. Auch die Bochumer Betriebe „Eisen- und Hüttenwerke AG“ und der „Bochumer Verein für Gußstahlfabrikation AG“ erwarben Tausende von Inhaftierten und profitierten von dieser Zwangsarbeitsmaschinerie. Die SS registrierte 108 „Lagertote“ in Bochum. All das und viele weitere erschreckende Details erfuhren die Teilnehmer*Innen am Nachmittag in der Ausstellung in der ehemaligen Effektenkammer. Als die Amerikaner am 11. April 1945 um 15:15 Uhr die Häftlinge befreiten, fanden sie das Lager in einem desolaten Zustand vor. Leichenberge, Verwahrlosung, Tausende von jüdischen Kindern, deren Eltern dem Holocaust zum Opfer fielen. Tage nach der Befreiung führten die Befreier die Weimarer Stadtbewohner*Innen durch das Häftlingslager. Als diese Unwissenheit vortäuschten, echauffierten sich die Ex-Häftlinge: „Ihr habt es gewusst. Wir haben neben euch in den Fabriken gearbeitet. Wir haben es euch gesagt und dabei unser Leben riskiert. Aber ihr habt nichts getan.“ Derartige Zitate von Überlebenden sind ebenso wie ihre Biografien in der Ausstellung in der Effektenkammer dargestellt und bieten die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit bedrückenden Einzelschicksalen.

„Jedem das Seine“

„Gibt es ein schöneres Versprechen als das, Menschen in ihrer Gleichheit und Unterschiedlichkeit, in ihrer Individualität und Besonderheit zu würdigen und zu achten?“ Vor dem Hintergrund dieser zum Nachdenken anregenden Frage, aufgeworfen von Volkhard Knigge, dem Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, begaben sich die Teilnehmer*Innen am frühen Abend zum Buchenwald-Mahnmal, dem Glockenturm in der Nähe der Massengräber. Hier gedachten sie der Opfer der Nationalsozialisten und hielten einen Moment inne. Der immanent wichtige Tagesabschluss, eine Reflexionsrunde zur Verarbeitung der Geschehnisse an diesem traurigen Ort, wurde im Hotel vorgenommen.

Massenmord als technologische Herausforderung

Ungefähr 15 Kilometer liegen zwischen dem Nordhang des Ettersberges, an dem sich das Häftlingslager befand, und dem Sorbenweg 7 in Erfurt. Hier befindet sich der „Erinnerungsort Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz.“ Das ehemalige Fabrikgebäude der Firma „J.A. Topf & Söhne“, mittlerweile zu einem Gedenk- und Bildungsort umgebaut, stellte am Sonntag, den 09. September 2018, die letzte Station unserer Reise dar. Rebekka Schubert, Gedenkstättenpädagogin des Erinnerungsortes, brachte den Teilnehmer*Innen die Geschichte dieses Ortes näher. In den Krematorien für den Völkermord an den europäischen Juden und Sinti und Roma errichteten Ingenieure des Erfurter Unternehmens die Verbrennungsöfen und die Lüftungstechnik für die Gaskammern. Die von der Firma patentierten Dreimuffelöfen konnten die Teilnehmer*Innen bereits einen Tag zuvor im Konzentrationslager Buchenwald begutachten. An keinem anderen zivilen Ort waren die mit der Praxis der industriellen Vernichtung von Menschenleben verbundenen Fragen mehr präsent als in diesem Unternehmen: als Auftrag, als Arbeit, als technologische Herausforderung.

Die vorbehaltlose Zusammenarbeit von Topf & Söhne mit der SS beunruhigte die Reisegruppe in besonderer Weise. Die Mitarbeiter*Innen handelten nicht auf Befehl oder unter Zwang. Sie wussten genau, welchen Zwecken die von ihnen entwickelte Technik diente. Um mitzumachen, reichte es offenbar aus, dass Ausrottung und Massenmord staatlich gewollt waren. Einzelne profitierten, andere waren durch den Ehrgeiz, ein guter Ingenieur zu sein, angestachelt. Aus der Abwesenheit von Mitmenschlichkeit gegenüber den „natürlichen Feinden“ der „Volksgemeinschaft“ wurde die Mittäterschaft am Massenmord.

Eine unvergessliche Fahrt für die Teilnehmer*Innen endete mit dem Besuch dieses Erinnerungsortes. Das Erfahrene und Erlernte nie zu vergessen ist eine Aufgabe für die Gegenwart und Zukunft. Das Fanprojekt Bochum und die Fanbetreuung des VfL Bochum 1848 bedanken sich bei allen Teilnehmer*Innen und Mitwirkenden für die gemeinsame, lehrreiche Zeit sowie die hervorragende Atmosphäre und das Vertrauen innerhalb der Gruppe. Aufgrund des Erfolgs dieses Bildungsangebots beginnt für uns schon jetzt die Planung der Wiederholung im nächsten Jahr.


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