Zum neunten Mal lud die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der Fanprojekte in NRW gemeinsam mit zehn Standorten zum Fancamp am Lippesee ein. Mit über 75 Teilnehmer*innen war das Camp in diesem Jahr so gut besucht wie selten zuvor – ein klares Zeichen für den hohen Bedarf, Jugendlichen in den Sommerferien eine kostengünstige und gleichzeitig attraktive Alternative zum Elternhaus zu bieten. Für viele der teilnehmenden Jugendlichen übrigens die einzige Urlaubsaktivität in den Sommerferien.
Von Beginn an wurden die Jugendlichen aktiv in die Tagesgestaltung einbezogen und konnten ihre Wünsche und Bedarfe in das Programm einfließen lassen. So entstand ein abwechslungsreiches Camp, das nicht nur „für“, sondern vor allem „mit“ den Jugendlichen gestaltet wurde. Über das morgendliche Sportangebot, als Schnippelhilfe, der Programmgestaltung oder der Reinigung, jeder konnte sich gemäß seiner individuellen Wünsche einbringen.
Nach dem gemeinsamen Zeltaufbau startete traditionell der Rundgang über das weitläufige Gelände. Ein Basketball-Shootout sorgte für sportlichen Ehrgeiz, bevor der erste Abend am Lagerfeuer mit Stockbrot, Kennenlernspielen sowie Diskussionen über Vereine uns Fans gemütlich ausklang. Schon hier zeigte sich: Die Fanzugehörigkeit spielte spätestens ab Tag zwei keine Rolle mehr – stattdessen wuchs eine Gemeinschaft zusammen, die offen, neugierig und respektvoll miteinander umging.
Der zweite Tag stand ganz im Zeichen des Sports. Auf dem Beachsoccerplatz lieferten sich die Jugendlichen ein spannendes Fußballturnier, bevor es zur Abkühlung an die Wasserskibahn des Strandbads ging. Hier wagten viele ihre ersten Versuche auf Wasserski oder Wakeboard – wer die Runde nicht schaffte, „musste heimschwimmen“. Eine Herausforderung, die die Jugendlichen mit Humor und erstaunlicher Geschicklichkeit meisterten.
Doch das Fancamp bot weit mehr als nur Fußball: In einem Graffiti-Workshop konnten die Jugendlichen ihrer Kreativität freien Lauf lassen, beim Kickerturnier wurde leidenschaftlich um Tore gerungen – der Pokal ging nach Bielefeld. Auf der Kartbahn in Werther setzte sich schließlich ein Teilnehmer aus Bochum als Gesamtsieger durch. Eine Stadionführung auf der Bielefelder Alm gab spannende Einblicke hinter die Kulissen des Profifußballs.
Besonders eindrücklich war der Besuch der Gedenkstätte im Kreismuseum Wewelsburg und der dortigen Wanderausstellung „Fußball im Nationalsozialismus“. Hier erlebten die Jugendlichen, wie eng die Lebenswelten Fußball und historisch-politische Bildung miteinander verknüpft sind. Für viele wurde der Besuch zu einer unmittelbaren Auseinandersetzung mit aktuellen Herausforderungen: Neben der Gruppe der Fanprojekte nutzten auch organisierte Neonazis die Gedenkstätte als Wallfahrtsort. Das pädagogische Team machte diese Situation transparent und zeigte, wie wichtig es ist, rechte Strömungen kritisch zu hinterfragen und ihnen entschieden entgegenzutreten.
Dank einer Förderung der Antisemitismusbeauftragten des Landes NRW konnte der Besuch der Wewelsburg in diesem Jahr als fester Bestandteil in das Programm aufgenommen werden. Wie wichtig historisch-politische Bildungsarbeit im Fußball ist, zeigen nicht zuletzt die Ergebnisse von MeDiF-NRW: Antisemitismus ist in Gesellschaft und „Fußball“ nach wie vor weit verbreitet. Für die LAG Fanprojekte NRW ist es daher ein intrinsisches Anliegen, alle Angebote konsequent daraufhin zu prüfen, ob Präventionsarbeit zu diesem Themenschwerpunkt integriert werden kann.
Dabei knüpft das Fancamp nicht im luftleeren Raum an: Wichtige pädagogische Vorarbeit leisten die geschulten Kolleg*innen in den der LAG angeschlossenen Standorten. Auch über das Camp hinaus gibt es weitere Formate wie Vorträge oder Filmvorführungen – möglichst niedrigschwellig, dafür mit großer Reichweite, ohne belehrend zu wirken. Gerade die Verknüpfung von Bildungsorten und Fußball erweist sich hier als besonders praktikabel.
Darüber hinaus gelingt es den NRW-Fanprojekten seit Jahren, Jugendliche mit Fluchtgeschichte in die Angebote einzubeziehen. Nirgends lassen sich Barrieren und Vorurteile so nachhaltig abbauen wie über gemeinsame Zeit, intensiven Austausch, positive Erlebnisse und den Fußball als verbindendes Medium. So entsteht eine Atmosphäre, in der Themen nicht problemorientiert, sondern positiv besetzt werden.
Parallel zum Besuch in der Wewelsburg fand auf dem Zeltplatz ein Workshop zum nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln statt. Der Verein restlos e.V. erklärte den Jugendlichen Sinn und Zweck von Haltbarkeitsdaten, Verwertungsketten und Ressourcenschonung – gemeinsam wurde aus geretteten Lebensmitteln ein kreatives Mahl zubereitet. Für viele (männliche) Teilnehmer*innen war es die erste praktische Auseinandersetzung mit Fleischersatzprodukten. Die positiven Erfahrungen führten dazu, dass sie diesem Thema nun deutlich aufgeschlossener gegenüberstehen.
Auch die Ernährung insgesamt war Teil des pädagogischen Konzepts: Neben Klassikern wie „Ruhrgebietstapas“ (Currywurst) gab es täglich gesunde Mittagssnacks, täglich vegane und vegetarische Alternativen und einen komplett fleischlosen Tag. Auf Softdrinks, Energydrinks, Alkohol und Tabak wurde bewusst verzichtet – ein Konzept, das von den Jugendlichen gut angenommen wurde.
Die Abende am Lagerfeuer, Gruppenspiele wie „Werwolf“ und sportliche Angebote wie Beachvolleyball, Spikeball oder der Besuch im Waldschwimmbad machten das Fancamp zu einem abwechslungsreichen und intensiven Erlebnis.
Das Fazit: Jugendliche sind besser als ihr Ruf. Sie beteiligen sich, sind wissbegierig, bauen Barrieren schnall ab, nehmen Herausforderungen an und zeigen großes politisches Interesse. Sie sind auf der Suche nach Vorbildern – und genau hier setzt die Jugendarbeit der Fanprojekte an. Männlichkeitsbilder werden kritisch reflektiert, weiblichen Teilnehmer*innen bewusst Räume eröffnet, und Haltung wird vorgelebt. Jugendarbeit ist Handarbeit – und das Team der Fanprojekte zeigte eindrucksvoll, wie wichtig diese Arbeit ist. Dafür möchten wir uns ganz besonders auch bei unseren Fachkräften bedanken.
Ein besonderer Mehrwert des Camps ist zudem die Vernetzung der Jugendlichen untereinander. Viele Kontakte bleiben über Jahre hinweg bestehen. Die sozialpädagogischen Fanprojekte begleiten diese Vernetzung durch Folgeangebote, Nachtreffen und Neuauflagen, um den Jugendlichen ein Gefühl von Selbstwirksamkeit zu vermitteln und die positiven Erfahrungen aus dem Sommercamp in den Alltag zu übertragen. Gleichzeitig wird die Bindungskontinuität zwischen Fachkräften und Teilnehmer*innen gestärkt – eine Grundlage für Vertrauen, Lernbereitschaft und nachhaltige Wirkung – auch im Krisenfall.
Nach neun erfolgreichen Durchgängen endet für uns vorerst die Ära am Lippesee, wir blicken nicht traurig zurück, sondern erinnern uns an mehrere Hundert Teilnehmer*innen und viele individuelle „once in a lifetime-Momente“. Für 2026 steht bereits das nächste Ziel fest: In Südholland, in der Nähe von Renesse (Scharendijke), wartet ein neuer Ort mit spannenden Angeboten auf die Jugendlichen.