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Bildungsfahrt im Rahmen des Länderspiels der deutschen Nationalmannschaft in Prag vom 30.8.-2.9.2017

Als LAG Fanprojekte NRW e.V. sehen wir als eine Säule unserer Arbeit die Unterstützung der Weiterentwicklung konzeptioneller Arbeitsansätze in allen Handlungsfeldern der sozialen Arbeit mit jungen Fußballfans. Mitarbeitende in sozialpädagogischen Fanprojekten sind nicht nur Anlaufstelle für die aktive Fanszene in einer Vielzahl von Fragen, sondern haben auch einen eindeutigen Auftrag als Multiplikator*innen im Handlungsfeld der Extremismusprävention. Hierzu gehört auch die Schaffung von Bildungsangeboten, welche die Verankerung demokratischer Prinzipien und Werte innerhalb der Zielgruppe der jungen Fußballfans unterstützen.

Vor diesem Hintergrund konnten wir mit Unterstützung des MKFFI NRW eine Bildungsreise für Leiter*innen der sozialpädagogischen Fanprojekte in NRW nach Tschechien im Rahmen des Länderspiels der deutschen Nationalmannschaft in Prag am 1.9.2017 realisieren. Die deutsch-tschechische Beziehung ist in besonderem Maß von der nationalsozialistischen Vergangenheit geprägt. Nachdem 1938 zunächst die sudetendeutschen Gebiete in Grenznähe annektiert wurden, stand Tschechien zwischen 1939 und 1945 als „Protektorat Böhmen und Mähren“ de facto unter der Herrschaft des NS Regimes. Neben der wirtschaftlichen Ausbeutung litt die tschechische Zivilbevölkerung vor allem unter der Vielzahl an Kriegsverbrechen und Deportierungen, die an ihnen verübt wurden.
Ein zentraler Ort der deutschen Vernichtungsapparates in Tschechien bildete das Sammel- und Durchgangslager Theresienstadt (Terezin), welches auch das Ziel der Deportationen der jüdischen Bevölkerung Prags war, die von hier aus zu großen Teilen zur Ermordung in Vernichtungslager weitertransportiert wurden. Der gemeinsame Besuch Terezins war als erster Programmpunkt der gemeinsamen Bildungsreise vorgesehen. Das lokale Freiwilligenbüro der Gedenkstätte bot unserer Gruppe eine fast dreistündige Führung durch das Konzentrationslager, welches innerhalb der Mauern der ehemaligen Garnisonsstadt eingerichtet wurde. Im Anschluss besichtigten wir noch die vorgelagerte „Kleine Festung“, welche als Gefängnis der Gestapo diente. Hier wurden nicht nur deportierte Juden Opfer des Regimes, sondern auch Kriegsgefangene und Oppositionelle. Die Vielzahl der beklemmenden Eindrücke bot im weiteren Verlauf der Bildungsreise Anlässe zum fachlichen und persönlichen Austausch zwischen den Teilnehmenden.

Der darauf folgende Tag begann mit einer Führung durch das jüdische Viertel in Prag (Josefov). Während heute nur noch wenige Angehörige des jüdischen Glaubens in Prag leben, beherbergte die Stadt um 1700 eine der größten jüdischen Gemeinden Europas. Das Viertel mit seiner Vielzahl an Synagogen und kulturellen Stätten gilt bis heute als wichtiger Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses der europäisch-jüdischen Gemeinschaft. Im Anschluss an die Führung hatte die LAG-Fanprojekte NRW ein Gespräch mit einer Zeitzeugin in den Räumen der jüdischen Gemeinde organisiert, welches von den Teilnehmenden als interessantester Programmpunkt der Bildungsfahrt gewertet wurde. Unsere Gesprächspartnerin erlebte ihre Jugend im Konzentrationslager Theresienstadt, bis dieses 1945 durch die Rote Armee befreit wurde. Damit gehört sie zu einer Minderheit – in Theresienstadt selbst starben über 33.000 Menschen, fast 90.000 weitere wurden von hier aus in Vernichtungslager deportiert. Die intensiven und persönlichen Schilderungen der erlebten Gräueltaten machten betroffen. Umso berührender war die Botschaft der Zeitzeugin: ein Aufruf zur Versöhnung und Völkerverständigung.

Befremdlich waren hingegen die Szenen, die wir im Anschluss in der Prager Altstadt erlebten. Bereits im Vorfeld war erwartet worden, dass Hooligans und Angehörige der deutschen rechten Szene das Länderspiel nutzen würden, um ihrer Ideologie eine größtmögliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Bis zum Abend konnten wir immer wieder Fangruppen beobachten, die einschlägige Parolen grölten („Wir sind wieder einmarschiert“), szenespezifische Musik hörten und den Hitlergruß zeigten.
Im aktuellen politischen Diskurs beobachten wir die Verharmlosung des nationalsozialistischen Regimes als „Vogelschiss“, die Forderung nach einer „erinnerungspolitischen Wende“, die Verklärung der Täter-Opfer-Beziehung, die mit dem Begriff des „Schuldkultes“ einhergeht, der Versuch der positiven Besetzung des „Völkischen“. Dies sind nur wenige Beispiele für Äußerungen von gewählten Land- und Bundestagsabgeordneten. Dieser Zeitgeist spiegelt sich im Fußball: Nationalspieler werden weiter nicht anhand ihrer individuellen spielerischen Leistung und Einsatzbereitschaft, sondern nach ihrer Hautfarbe oder ihrer Inbrunst während des Singens der Hymne bewertet. In Prag wurden wir Zeugen eines chauvinistischen Nationalismus, der das identitätsstiftende Moment des Fußballs für sich instrumentalisiert.
Für die Klient*innen professioneller Fanarbeit ist das Gemeinschaftsgefühl ein vorrangiges Motiv für ihr Engagement innerhalb einer Fanszene. Die Prävention extremistischer Orientierungen wird bei Jugendlichen dann wichtig, wenn eine gemeinsame Identität in die Abwertung von anderen übergeht – und zwar besonders dann, wenn nicht mehr die Affinität zum einzelnen Fußballverein, sondern die nationale Zugehörigkeit zum zentralen Merkmal der Identität wird. Identität bedeutet aber auch, sich kritisch mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Den begleiteten Besuch von Gedenkstätten und Täterorten erachten wir als entscheidendes Instrument, um jugendliche Fußballfans stark zu machen gegen Gruppen und Personen, die jenes Bedürfnis nach Gemeinschaft für ihre politischen Zwecke missbrauchen.
Inzwischen haben zwei Fanprojekte, die in der LAG Fanprojekte NRW organisiert sind, eigene Fahrten für junge Fans nach Prag und Theresienstadt angeboten. Eine Wiederholung einer Bildungsfahrt für Mitarbeitende in sozialpädagogischen Fanprojekten ist für 2019 angedacht, um weitere Multiplikator*innen zu ermutigen, ähnliche Angebote zu schaffen.

Anlage:

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